„Mit allen Wassern der Theater-Postmoderne gewaschen...“
über die Arbeiten von Harriet Maria und Peter Meining
von Sylvia Staude
In Multimedia machen heute viele Theaterinszenierungen, aber so konsequent wie norton.commander.productions (ncp) ist dabei kaum ein Regisseur, kaum eine Gruppe. Harriet Maria und Peter Meining, die nicht nur die Köpfe von ncp sind, die eigentlich norton.commander.productions ausmachen, bringen die Künste auf der Bühne zum Tanzen: Das Wort Gesamtkunstwerk, hier passt es einmal. Sie haben keine Angst vor großen Themen und großen Gestalten, vor Mythen und Märchen. Oder wenn sie während des Produktionsprozesses für ein neues Stück, ein neues Video, irgendwann Angst haben vor der eigenen Courage, dann braucht es den Zuschauer/die Zuschauerin jedenfalls nicht zu kümmern, denn das Ergebnis, das er/sie schließlich auf Bühne und Leinwand zu sehen bekommt, funkelt, fordert heraus - und macht Spaß. Man bekommt zum Beispiel Lust, selbst zur Luftpumpe, zu Entlein und Rehlein zu greifen, wenn hier spielerisch ein Garten Eden entsteht (in "X Gebote"). Denn dieses Paradies hat es, dessen kann man sich bei den Meinings gewiss sein, hinter der scheinbar so harmlosen Plastik- und Kindergeburtstagsfassade allemal in sich. Und da ist nicht nur die Schlange gemeint.
Da ist vor allen Dingen das Wagnis gemeint, sich so lässig wie gedankentief, so quietschebunt wie horrordunkel, dazu meistens panoramabreit und bild- sowie tongewaltig mit Gott und der Welt auseinander zu setzen. Man muss nicht alles mögen, was Harriet Maria und Peter Meining machen, Kleinmut freilich kann man dieser (Bühnen-)Kunst beileibe nicht vorwerfen. Das Theater dieser beiden Künstler ist vor allem auch glut- und blutvoll, bildmächtig, collagiert, dekonstruiert, gern laut wie ein Heavy-Metal-Konzert oder schnell geschnitten wie ein Videoclip. Oft wirkt es filmisch, auch wenn die Akteure leibhaftig vor einem stehen.
Und dabei ist dieses Theater immer auch aufgeweckt politisch, mit dem Finger am Puls gesellschaftlicher Diskussionen. Die Meinings schauen genau auf die Wirkmechanismen von Gruppen, auf die Banalität des Bösen und das Biegsame des Menschen. Ihre Haltung ist die Skepsis - vor allem Skepsis gegenüber politischen Utopien. Nicht zufällig fühlen sich Harriet Maria und Peter Meining dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich verbunden, der unter anderem schrieb: "Eine Anzahl von Intellektuellen im Osten haben geglaubt, wenn wir unser Gefängnis streichen, wird es darin schön." Die beiden Macher von ncp scheuen aber als (Text-)Quellen auch nicht die Bibel und nicht das Grimm-Märchen, nicht den eigentlich abgenudelten Über-Song, wie es John Lennons "Imagine" ist, oder das gelehrte Novalis- und Benn-Zitat. Bei Meinings wird collagiert und dekonstruiert was das Zeug hält, sie spielen Assoziations-Pingpong und brechen die Gegensätze auf.
Dabei sind die Stücke nie sentimental oder belehrend: Ihre Kanten sind scharf, ihre Stimmungen dunkel grundiert, ihre Collagetechnik spielt die Themen an, ohne uns, die Zuschauer, zu irgendwelchen Schlüssen führen zu wollen. Hier wird keine fortlaufende Geschichte erzählt, werden keine Charaktere ausgepinselt, der Zuschauer vielmehr ständig sozusagen auf den Zehenspitzen gehalten. Und die Meinings scheuen glücklicherweise nicht den Griff mitten in den so reichen Fundus der Populärkultur - glücklicherweise, wenn man ihn denn wie sie zu nutzen weiß - mit ihren mythologischen, ihren archetypischen und manchmal auch realen Figuren. Vampir und Werwolf dürfen auftreten und werden ernst genommen, ebenso Frankenstein und Dagobert Duck, der Serienmörder Fritz Haarmann und Rosemaries Teufelsbaby, Hans im Glück und der Fischer und seine Frau.
Gott darf auch mitspielen, in fescher Uniform und adrettem Bart, ein soignierter alter Herr. Es stellt sich dann freilich heraus, dass sich seine Welt nicht mehr so recht für ihn interessiert, dass dieser Käpt'n ein Schiff befehligt, das selbst die meisten Ratten schon längst verlassen haben. Nicht einmal seine Kinder wollen etwas von ihm wissen. Die ganze unsterbliche, trostlose Familie sucht bald Hilfe bei einer Psychologin. Was für eine hübsch hintersinnige, gleichzeitig typische ncp-Wendung. Die Welt ist den Meinings eine Fundgrube, sie fügen Texte, Klänge, Bilder zusammen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Aber häufig in der kollektiven Erinnerung fest verankert sind.
Das Theater dieser Künstler denkt nach über sich selbst und seine Formen. Es tut dies konsequent und unbeirrt. Und es wiederholt sich nicht gern: Die beiden versuchen immer wieder und Stück um Stück neue Spielregeln aufzustellen, eine neue Formensprache zu finden. Und, so saftig, drastisch, kräftig das Theater der Meinings oft ist, so vielfältig es die Medien einsetzt, Film, Live-Musik, die Wucht der Körper, die Präsenz der Darsteller, so raffiniert verweigert es doch die Antworten auf seine Fragen.
Mit Hinterlist und Ironie verwenden die Meinings ihre Märchenabend-Unterzeile "Naive Fragen - Komplexe Antworten" gleichsam als Motto. "Naiv" kann ja allemal Tarnung für tiefgestapelte Klugheit sein; und fürs Komplexe ist dann eben der Zuschauer mitverantwortlich. Die über weite Strecken üppige Oberfläche des ncp-Theaters, seine Anspielungen und Themen-Umpielungen, seine Unterhaltung-Qualitäten lenken vielleicht manchmal davon ab, dass man als Rezipient immer auch einen Teil der Gedankenarbeit leisten muss (so man denn will). Aber es lohnt sich, und zwar an jedem ncp-Abend. Da wird einem/einer zum Beispiel die Frage angeboten, was in und mit einer Welt passiert, in der sich Gott Dagobert Duck geschlagen geben muss? In der ein Mensch kein Mitleid mehr spüren, er meint: er-leiden möchte; und sich einen Stein in die Brust setzen lässt statt seines warm schlagenden Herzens? In der der Fremde, der Andersgläubige zum Vampir verteufelt wird?
So ist der Besuch einer Inszenierung eine Erfahrung, die den Verstand beschäftigt - indem er versucht, die Dinge zu ordnen und zu bewerten -, die man aber auch körperlich wahrnimmt im Furor der Bilder und der (Live-)Klänge. Und da kommen die äußerst präsenten, oft auch schon älteren Darsteller ins Spiel: markante Gestalten wie Irm Hermann, Hermann Beyer, Juliane Werner Brötzmann, Christian Wittmann, Ole Wulfers, Thomas Neumann oder Lars Rudolph. Performer wie Veit Sprenger und Otmar Wagner, Musiker wie Bernd Jestram und Ronals Lippock von Tarwater, Caspar Brötzmann oder Blixa Bargeld. Ein schauspielerisches Leichtgewicht würde hinweg geweht von diesem Theater. Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit dem Musiker/Komponisten Nikolaus Woernle, der seit 2002 die Arbeit musikalisch begleitet hat.
Harriet Maria und Peter Meining mögen zwar mit allen Wassern, sprich Stilmitteln der Theater-Postmoderne gewaschen sein, aber immer wieder nehmen sie Abstand zu der in dieser Postmoderne so beliebten Ironie. Sie haben ein sicheres Gespür dafür, wann es still und ernst werden muss im Umgang mit dem vielleicht größten ihrer Themen, dem Tod.
Mit durchaus gemischten, mit differenzierten Gefühlen verlässt man also einen ncp-Abend: Man ist gut unterhalten worden ("unterhalten" ist hier wirklich kein Schimpfwort), aber man ahnt doch immer auch die Dunkelheiten des Lebens. Mehr kann Kunst nicht erreichen.
Sylvia Staude ist Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Rundschau
In Multimedia machen heute viele Theaterinszenierungen, aber so konsequent wie norton.commander.productions (ncp) ist dabei kaum ein Regisseur, kaum eine Gruppe. Harriet Maria und Peter Meining, die nicht nur die Köpfe von ncp sind, die eigentlich norton.commander.productions ausmachen, bringen die Künste auf der Bühne zum Tanzen: Das Wort Gesamtkunstwerk, hier passt es einmal. Sie haben keine Angst vor großen Themen und großen Gestalten, vor Mythen und Märchen. Oder wenn sie während des Produktionsprozesses für ein neues Stück, ein neues Video, irgendwann Angst haben vor der eigenen Courage, dann braucht es den Zuschauer/die Zuschauerin jedenfalls nicht zu kümmern, denn das Ergebnis, das er/sie schließlich auf Bühne und Leinwand zu sehen bekommt, funkelt, fordert heraus - und macht Spaß. Man bekommt zum Beispiel Lust, selbst zur Luftpumpe, zu Entlein und Rehlein zu greifen, wenn hier spielerisch ein Garten Eden entsteht (in "X Gebote"). Denn dieses Paradies hat es, dessen kann man sich bei den Meinings gewiss sein, hinter der scheinbar so harmlosen Plastik- und Kindergeburtstagsfassade allemal in sich. Und da ist nicht nur die Schlange gemeint.
Da ist vor allen Dingen das Wagnis gemeint, sich so lässig wie gedankentief, so quietschebunt wie horrordunkel, dazu meistens panoramabreit und bild- sowie tongewaltig mit Gott und der Welt auseinander zu setzen. Man muss nicht alles mögen, was Harriet Maria und Peter Meining machen, Kleinmut freilich kann man dieser (Bühnen-)Kunst beileibe nicht vorwerfen. Das Theater dieser beiden Künstler ist vor allem auch glut- und blutvoll, bildmächtig, collagiert, dekonstruiert, gern laut wie ein Heavy-Metal-Konzert oder schnell geschnitten wie ein Videoclip. Oft wirkt es filmisch, auch wenn die Akteure leibhaftig vor einem stehen.
Und dabei ist dieses Theater immer auch aufgeweckt politisch, mit dem Finger am Puls gesellschaftlicher Diskussionen. Die Meinings schauen genau auf die Wirkmechanismen von Gruppen, auf die Banalität des Bösen und das Biegsame des Menschen. Ihre Haltung ist die Skepsis - vor allem Skepsis gegenüber politischen Utopien. Nicht zufällig fühlen sich Harriet Maria und Peter Meining dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich verbunden, der unter anderem schrieb: "Eine Anzahl von Intellektuellen im Osten haben geglaubt, wenn wir unser Gefängnis streichen, wird es darin schön." Die beiden Macher von ncp scheuen aber als (Text-)Quellen auch nicht die Bibel und nicht das Grimm-Märchen, nicht den eigentlich abgenudelten Über-Song, wie es John Lennons "Imagine" ist, oder das gelehrte Novalis- und Benn-Zitat. Bei Meinings wird collagiert und dekonstruiert was das Zeug hält, sie spielen Assoziations-Pingpong und brechen die Gegensätze auf.
Dabei sind die Stücke nie sentimental oder belehrend: Ihre Kanten sind scharf, ihre Stimmungen dunkel grundiert, ihre Collagetechnik spielt die Themen an, ohne uns, die Zuschauer, zu irgendwelchen Schlüssen führen zu wollen. Hier wird keine fortlaufende Geschichte erzählt, werden keine Charaktere ausgepinselt, der Zuschauer vielmehr ständig sozusagen auf den Zehenspitzen gehalten. Und die Meinings scheuen glücklicherweise nicht den Griff mitten in den so reichen Fundus der Populärkultur - glücklicherweise, wenn man ihn denn wie sie zu nutzen weiß - mit ihren mythologischen, ihren archetypischen und manchmal auch realen Figuren. Vampir und Werwolf dürfen auftreten und werden ernst genommen, ebenso Frankenstein und Dagobert Duck, der Serienmörder Fritz Haarmann und Rosemaries Teufelsbaby, Hans im Glück und der Fischer und seine Frau.
Gott darf auch mitspielen, in fescher Uniform und adrettem Bart, ein soignierter alter Herr. Es stellt sich dann freilich heraus, dass sich seine Welt nicht mehr so recht für ihn interessiert, dass dieser Käpt'n ein Schiff befehligt, das selbst die meisten Ratten schon längst verlassen haben. Nicht einmal seine Kinder wollen etwas von ihm wissen. Die ganze unsterbliche, trostlose Familie sucht bald Hilfe bei einer Psychologin. Was für eine hübsch hintersinnige, gleichzeitig typische ncp-Wendung. Die Welt ist den Meinings eine Fundgrube, sie fügen Texte, Klänge, Bilder zusammen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Aber häufig in der kollektiven Erinnerung fest verankert sind.
Das Theater dieser Künstler denkt nach über sich selbst und seine Formen. Es tut dies konsequent und unbeirrt. Und es wiederholt sich nicht gern: Die beiden versuchen immer wieder und Stück um Stück neue Spielregeln aufzustellen, eine neue Formensprache zu finden. Und, so saftig, drastisch, kräftig das Theater der Meinings oft ist, so vielfältig es die Medien einsetzt, Film, Live-Musik, die Wucht der Körper, die Präsenz der Darsteller, so raffiniert verweigert es doch die Antworten auf seine Fragen.
Mit Hinterlist und Ironie verwenden die Meinings ihre Märchenabend-Unterzeile "Naive Fragen - Komplexe Antworten" gleichsam als Motto. "Naiv" kann ja allemal Tarnung für tiefgestapelte Klugheit sein; und fürs Komplexe ist dann eben der Zuschauer mitverantwortlich. Die über weite Strecken üppige Oberfläche des ncp-Theaters, seine Anspielungen und Themen-Umpielungen, seine Unterhaltung-Qualitäten lenken vielleicht manchmal davon ab, dass man als Rezipient immer auch einen Teil der Gedankenarbeit leisten muss (so man denn will). Aber es lohnt sich, und zwar an jedem ncp-Abend. Da wird einem/einer zum Beispiel die Frage angeboten, was in und mit einer Welt passiert, in der sich Gott Dagobert Duck geschlagen geben muss? In der ein Mensch kein Mitleid mehr spüren, er meint: er-leiden möchte; und sich einen Stein in die Brust setzen lässt statt seines warm schlagenden Herzens? In der der Fremde, der Andersgläubige zum Vampir verteufelt wird?
So ist der Besuch einer Inszenierung eine Erfahrung, die den Verstand beschäftigt - indem er versucht, die Dinge zu ordnen und zu bewerten -, die man aber auch körperlich wahrnimmt im Furor der Bilder und der (Live-)Klänge. Und da kommen die äußerst präsenten, oft auch schon älteren Darsteller ins Spiel: markante Gestalten wie Irm Hermann, Hermann Beyer, Juliane Werner Brötzmann, Christian Wittmann, Ole Wulfers, Thomas Neumann oder Lars Rudolph. Performer wie Veit Sprenger und Otmar Wagner, Musiker wie Bernd Jestram und Ronals Lippock von Tarwater, Caspar Brötzmann oder Blixa Bargeld. Ein schauspielerisches Leichtgewicht würde hinweg geweht von diesem Theater. Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit dem Musiker/Komponisten Nikolaus Woernle, der seit 2002 die Arbeit musikalisch begleitet hat.
Harriet Maria und Peter Meining mögen zwar mit allen Wassern, sprich Stilmitteln der Theater-Postmoderne gewaschen sein, aber immer wieder nehmen sie Abstand zu der in dieser Postmoderne so beliebten Ironie. Sie haben ein sicheres Gespür dafür, wann es still und ernst werden muss im Umgang mit dem vielleicht größten ihrer Themen, dem Tod.
Mit durchaus gemischten, mit differenzierten Gefühlen verlässt man also einen ncp-Abend: Man ist gut unterhalten worden ("unterhalten" ist hier wirklich kein Schimpfwort), aber man ahnt doch immer auch die Dunkelheiten des Lebens. Mehr kann Kunst nicht erreichen.
Sylvia Staude ist Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Rundschau
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